Emotionale Phasen eines Geburtstrauma

Phasen der emotionalen Verarbeitung eines Geburtstraumas und wie Angehörige unterstützen können

Es kann äußerst hilfreich sein, sich darüber im Klaren zu sein, wo man sich (innerlich) nach dem Erleben einer als traumatisch empfundenen Geburt befindet. Dieses Bewusstsein ermöglicht es, zu erkennen, dass die nachfolgenden Phasen FOLGEN des erlebten Schocks sind und keine "persönliche" Reaktionen.

Darüber hinaus bietet dieses Wissen eine gewisse Orientierung und vermittelt innere Sicherheit. Auch für Angehörige, die möglicherweise innerlich mitleiden, kann dieses Verständnis von großer Bedeutung sein. Je nach Phase kann ein Angehöriger unterschiedlich unterstützen.

Zur Vereinfachung verwende ich im folgenden Text die Begriffe "Betroffene" (die Frau, die ein Geburtstrauma erlebt hat) und "Angehörige" (eine nahestehende Person.)

  1. Schockzustand
  • die Geschehnisse sind noch unbewusst/ vergraben
  • belastende Emotionen sind noch nicht fühlbar
  • die Betroffene befindet sich in einem Funktionsmodus & orientiert sich an gewohnten Abläufen


Du fühlst dich:

  • wie im Nebel
  • manchmal dämmert dir, dass es dir nicht so gut geht
  • du kannst nicht mehr so gut entspannen oder schlafen
  • erste Einsichten, dass es dir nicht gut geht, verwirfst du wieder
  • erschöpft
  • gewohnte Alltagsabläufe geben dir Sicherheit, du weißt dann was zu tun ist



Information für Angehörige:

Eine aktive Auseinandersetzung mit den Ereignissen ist in dieser Phase noch nicht möglich. Es benötigt Zeit, bis die Bereitschaft zur Verarbeitung entsteht. Unterstütze die Betroffenen mit praktischer Hilfe, damit sie zur Entspannung finden kann. Ruhe und Gelassenheit können unter Umständen dazu führen, dass die Betroffene schneller erkennt, dass sie sich die meiste Zeit in einem Funktionsmodus befindet und dass es ihr aber eigentlich nicht gut geht.


Tipp: Halte dich als Angehöriger in dieser Phase mit Angeboten zur Verarbeitung oder Vorschlägen, Hilfe zu suchen, zurück. Die Betroffene muss selbst erkennen, wie es ihr geht. Manchmal ist es für Außenstehende leichter und schneller erkennbar, dass Hilfe nötig ist, als für die Betroffene selbst.



2. Erwachen

  • Realisierung, dass “irgendetwas” mit einem selbst nicht stimmt
  • eigenes Leid wird wahrgenommen UND gleichzeitige Überforderung damit
  • Gefühle von Einsamkeit (Hilflosigkeit)
  • Man weiss nicht, “wohin” mit den Geschehnissen


Du fühlst dich:

  • überfordert mit deinem Innenleben
  • überfordert mit den Veränderungen
  • erschrocken: Es wird nicht mehr so, wie es mal war!
  • du weißt nicht, mit wem du darüber sprechen sollst
  • einsam und unsicher
  • du frägst dich, ob nur du so empfindest oder warum darüber niemand darüber spricht



Information für Angehörige:

Das Erwachen stellt eine frühe Phase der Verarbeitung dar, in der es im Wesentlichen darum geht, das persönliche Innenleben mit der "Norm" und dem Vertrauten in der Außenwelt abzugleichen. Die Betroffene sucht nach Anhaltspunkten und Orientierung, um ihre eigenen Erfahrungen einordnen zu können. Zu diesem Zeitpunkt wird den eigenen Gefühlen und inneren Belastungen noch wenig Vertrauen entgegengebracht. Es kann zu Zweifel und Unsicherheiten gegenüber der eigenen inneren Stimme kommen.


Tipp: Bestärke die Betroffene darin, ihren eigenen Empfindung zu vertrauen, sei da und höre zu, wenn erwünscht.


3. Emotionen werden spürbar

  • Wut, Enttäuschung & Trauer zeigen sich
  • je nach Charakter kann es zu dem Versuch kommen, Emotionen zu verdrängen
  • oft werden Emotionen auch nach “Außen” projiziert: “Die sind Schuld an...”
  • es wird mit eigenen Emotionen gehadert
  • Es wurde noch kein Weg gefunden, angemessen mit Emotionen umzugehen


Du fühlst dich:

  • traurig
  • enttäuscht
  • wütend
  • überfordert mit all den inneren Emotionen
  • dein Innenleben kann dir wie ein riesiger Berg vorkommen, den du niemals überwinden wirst


Information für Angehörige:

In dieser Phase kann sich eine Betroffene je nach Charakter,  nach innen zurückziehen und in Trauer versinken oder einen Schuldigen (z.B. die Hebamme, den Arzt etc.) suchen,  um sich von der empfundenen Wut zu befreien. Betroffene können starke Stimmungsschwankungen erleben und wenig belastbar sein. Diese Phase kann anstrengend sein aber es ist wichtig, dass Emotionen nach oben kommen, wenn anfangs auch etwas impulsiv oder chaotisch und ungezielt. Oft wissen Betroffene in dieser Phase einfach noch nicht WOHIN mit den Emotionen.


Tipp: Sie meint nicht dich! Nimm diese Ausbrüche nicht persönlich. Verbringe entspannte Momente mit der Betroffenen und zeige ihr, dass du da bist. Bewusstes Atmen kann dir helfen, nicht so stark auf ihre Emotionen zu reagieren und besser bei dir selbst zu bleiben.


4. aktive Verarbeitung

  • Akzeptanz von “mir ist das geschehen” findet statt
  • Bereitschaft belastende Emotionen/Erfahrungen zu verarbeiten
  • Öffnung und Mitgefühl für die eigene Geschichte können stattfinden


Du fühlst dich:

  • bereit die Geschehnisse anzuschauen, diese Bereitschaft kann auch aus einem Gefühl von "es muss sich etwas  ändern" oder ich möchte nicht mehr leiden, wachsen
  • sicher, dass du eine für dich traumatisierende Geburt erlebt hast
  • du möchtest in die aktive Verarbeitung gehen und frägst nach Hilfe


Information für Angehörige:

Nun kannst du, in Absprache und Zustimmung der Betroffenen, aktiv auf die Suche nach Hilfe gehen oder der Betroffenen anbieten, ihr den Rücken frei zu halten, damit sie selbst Hilfe suchen und in Anspruch nehmen kann. Frage dich auch selbst, ob auch du mit jemanden über diese vergangene schwere Zeit und Erlebnisse sprechen möchtest.


Eine der zentralen (inneren) Fragen um den letzten Mut für eine aktive Verarbeitung zu finden, könnte sein: 


"Wie kann ich mich den intensiv empfundenen Emotionen öffnen, ohne mich überfordert oder komplett überwältigt zu fühlen?"

Eine Möglichkeit besteht darin, sich durch bewusstes Atmen im eigenen Körper zu verankern und so einen inneren sicheren Raum zu schaffen. Da die bewusste Atmung stabilisierend wirkt, kann man sich den eigenen Emotionen nähern, ohne dabei überwältigt zu werden. Wir fühlen uns nur dann überwältigt oder überschwemmt, wenn wir ohne Anker von der Stärke der Emotion mitgerissen werden. Es ist durchaus möglich, gleichzeitig bewusst zu atmen und eine Emotion zu erleben bzw. zu durchfühlen. Die Kraft der eigenen bewussten Atmung, die uns vermittelt "ich bin hier", ist der Schlüssel zur Integration belastender Erfahrungen. Dein System wird Schritt für Schritt erfahren, dass schwierige Emotionen verarbeitet werden können, ohne Alarm zu schlagen.



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